Schardin war deutscher Ballistiker, Ingenieur und Hochschuldozent für Kurzzeitfotografie und Hochfrequenzkinematografie, Direktor des deutsch-französischen Forschungsinstituts (ISL) in Saint-Louis sowie Gründer und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Kurzzeitdynamik – Ernst-Mach-Institut (EMI) – in Freiburg i. B. Seitdem sich beide Wissenschaftler schon Anfang des 20. Jahrhunderts mit Entwicklungen in der Hochfrequenzkinematographie zur Registrierung schnell laufender Vorgänge mit Bildfrequenzen bis zu 107/s beschäftigten, hat sich viel auf diesem Gebiet getan. Unlängst berichtet die Arbeitsgruppe Innenballistik & Detonik im Forschungsbereich Energetische Systeme am Fraunhofer ICT von einem neuen System von Hochgeschwindigkeitskameras. Die sog. Framing-Kamera fertigt Fotografien im Nanosekunden-Takt (10-9s) an. Ergänzt wird sie durch eine sog. Streak-Kamera. Ihr Sensor zeichnet bis zu 200 Mal eine 1 Pixel hohe Bildzeile auf und montiert die einzelnen Aufnahmen untereinander zu einer Grafik. Die Bildwiederholrate dieser Kamera ist im Bereich bis zu 2 Bilder/Nanosekunde wählbar. Aus der Grafik lässt sich wie in einem Koordinatensystem eine Ortsveränderung gegen die Zeitachse ablesen. Solche Kameras ermöglichen es, beispielsweise die Geometrie einer Detonation in einer Waffe zu dokumentieren und ihren Verlauf qualitativ und quantitativ zu beurteilen. Sie werden zur Erforschung der sog. Innenballistik eingesetzt, die die Vorgänge im Lauf und Patronenlager einer Waffe beim Abschuss eines Projektils untersuchen. Die sog. Abgangs- oder Übergangsballistik analysiert die Vorgänge an der Laufmündung einer Waffe beim Schuss, die Außenballistik kümmert sich um die Vorgänge am verschossenen Projektil während des Fluges. Die Ziel- oder Endballistik beschäftigt sich mit der Wirkung des Projektils im Ziel (insbesondere die sog. Wundballistik). Diese Disziplinen der „klassischen“ Ballistik beschäftigen sich mit Rohrwaffen – Handfeuerwaffen, Bordkanonen, Artilleriegeschütze. Der Vollständigkeit halber sei noch die Raketenballistik erwähnt, die die Vorgänge während des Fluges einer Rakete untersucht. Zentrales Untersuchungsgebiet der Ballistik ist stets die ballistische Kurve, deren Idealisierung die Wurfparabel ist.
Lassen Sie uns im Nachfolgenden einige Aspekte moderner Rohrwaffenballistik etwas genauer beschreiben. Die Innenballistik befasst sich mit den Vorgängen innerhalb der Waffe, insbesondere im Lauf, bis das Projektil diesen verlässt. Wichtige Aspekte sind:
- Pulververbrennung: Analyse der Druckentwicklung und Temperatur durch die Treibladung
- Gasdynamik: Verhalten der expandierenden Gase und deren Einfluss auf das Projektil
- Laufgeometrie: Länge, Material und Kaliber des Laufs sowie deren Einfluss auf die Beschleunigung des Geschosses
- Reibung und Verschleiß: Wechselwirkungen zwischen Geschoss und Laufwand.
Jeder Schuss, den eine Waffe abfeuert, ist ein gewaltiges Zusammenspiel aus Druck, Bewegung und Präzision. Und es gibt eine unsichtbare Meisterleistung, die alles zusammenhält: der Verschluss. Er ist deshalb so entscheidend, weil der Gasdruck beim Abfeuern bis zu 4.000 bar erreicht – genug, um Stahl zu verformen. Ohne einen stabilen Verschluss würde die gesamte Energie unkontrolliert entweichen. Wir unterscheiden verschiedenen Arten von Verschlüssen:
- Formschluss – Mechanische Verriegelung durch ineinandergreifende Elemente, z.B. Drehkopfverschluss beim AK-47
- Kraftschluss – Haltekraft durch Massenträgheit oder Federkraft, zum Beispiel Rollenverschluss beim G3
- Stoffschluss – Bindung durch Materialeigenschaften, zum Beispiel Walzenverschluss
Überlegen ist einzig der Formschluss. Ein kraftschlüssiger Verschluss hält nur durch äußere Kräfte – aber was passiert, wenn der Gasdruck zu hoch wird? Das System gibt nach, der Verschluss öffnet zu früh, und das kann zu gefährlichen Rückstoßkräften führen. Bei einem kraftschlüssigen System müsste die Feder eine Kraft von z.B. 12kN allein aufnehmen – das ist extrem ineffizient. Ein formschlüssiger Verschluss dagegen nutzt die mechanische Verriegelung, um den Druck direkt aufzunehmen. Doch jeder Verschluss muss sich irgendwann öffnen – aber wann und wie entscheidet über Sicherheit und Präzision. Öffnet er zu früh, ist der Gasdruck noch zu hoch, es besteht Gefahr für Schütze und Waffe. Öffnet er zu spät, wird der Rückstoß zu stark, die Präzision leidet. Der optimale Verschluss steuert diesen Vorgang so, dass der Druck kontrolliert abgebaut wird. Ob in Sturmgewehren, Maschinenpistolen oder Präzisionswaffen – der richtige Verschluss entscheidet über Erfolg oder Misserfolg. Formschluss-Verschlüsse sind führend, wenn es um Stabilität, Präzision und Sicherheit geht.
Moderne Rohrwaffen stehen vor einer weiteren Herausforderung: Wie lässt sich die maximale Leistung erzielen, ohne die Struktur der Waffe extrem zu belasten? Die Lösung liegt in Hochdruck-Niederdruck-Systemen (HD ND) – einem Antriebskonzept, das für eine gleichmäßigere Schussentwicklung und eine effizientere Verbrennung der Treibladung sorgt. Warum ist das wichtig? Konventionelle Antriebe haben oft das Problem, dass kleine Treibladungsmengen in großen Volumen schwer zu entzünden sind. Eine ungleichmäßige Verbrennung führt zu Leistungsstreuungen und unvollständigem Abbrand. Ein HD ND System optimiert diesen Prozess durch eine kontrollierte Gasübertragung zwischen Hoch und Niederdruckraum. Die Treibladung wird zunächst in einem Hochdruckraum gezündet. Die dabei entstehenden Gase strömen über Überströmkanäle in den Niederdruckbereich. Hier treiben sie das Geschoss an, wobei die gleichmäßige Druckverteilung für eine effizientere Beschleunigung sorgt. Ursprünglich für Panzerabwehrwaffen wie den PAW 600 entwickelt, finden sie heute in 40 mm-Granatpistolen und Granatmaschinenwaffen mit Anwendung. Sie sind ideal für Waffen, bei denen eine leichte Konstruktion mit hoher Leistung kombiniert werden muss.
Die Abgangs- oder Übergangsballistik untersucht die Prozesse, die unmittelbar nach dem Verlassen des Laufs stattfinden:
- Mündungsgasdruck: Einfluss der austretenden Gase auf die Flugbahn des Geschosses
- Geschossstabilisierung: Übergang von der Führung im Lauf zur freien Flugphase.
- Schockwellenbildung: Entstehung von Druckwellen durch Überschallgeschwindigkeiten
Die Außenballistik beschreibt die Bewegung des Projektils in der Luft:
- Aerodynamik: Einfluss von Luftwiderstand, Auftrieb und Strömungsverhältnissen
- Rotation und Präzession: Stabilisierung durch Drall und deren Auswirkungen auf die Flugbahn
- Umweltfaktoren: Berücksichtigung von Wind, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Coriolis-Effekt
Die End- oder Zielballistik beschäftigt sich mit den Effekten beim Auftreffen des Projektils auf ein Ziel:
- Durchschlagskraft: Analyse der kinetischen Energie und der Penetrationseffizienz
- Materialverhalten: Reaktion des Ziels, z. B. Panzerung oder Gewebe, auf den Aufprall
- Fragmentierung: Verhalten des Projektils nach dem Einschlag, z.B. Splitterbildung
Die Rohrwaffenballistik hat sich in den letzten Jahrzehnten durch technologische Fortschritte, neue wissenschaftliche Erkenntnisse und veränderte Anforderungen erheblich weiterentwickelt. Fortschritte in der Munitionstechnologie brachten verbesserte Treibladungen mit höherer Effizienz, kontrollierbare Druckentwicklung und reduzierten Rückstände. Hochgeschwindigkeitsprojektile mit extrem hoher Geschwindigkeit sind im Einsatz gegen gepanzerte Ziele. Mit Künstlicher Intelligenz ausgestattete Munition ergänzt oder ersetzt GPS- oder Lasersteuerung für höhere Präzision und Zielgenauigkeit gelenkter Projektile. KI wird auch genutzt, um ballistische Berechnungen zu optimieren und präzise Flugbahnen zu simulieren. Sie ermöglicht die Echtzeit-Anpassung an Umweltbedingungen, wie Wind oder Temperatur. Quantencomputer bieten inzwischen die Möglichkeit, extrem komplexe ballistische Simulationen durchzuführen, die bisherige Supercomputer überfordern würden. Auch dies führt zu einer besseren Optimierung von Waffen und Munition. Fortschritte in der Nanotechnologie ermöglichen die Entwicklung von leichteren, robusteren Materialien für Geschosse und Läufe. Nanobeschichtungen minimieren Reibung im Lauf und verbessern die Effizienz der Geschossbeschleunigung. Dies reduziert Verschleiß und erhöht die Leistung. Der 3D-Druck revolutioniert die Herstellung von Waffenkomponenten und Munition, und er ermöglicht auch komplexe geometrische Strukturen. Dies führt zu individualisierten Designs und effizienteren Produktionsprozessen. Die Laufgeometrie hat Drall, Länge und Kaliber zur Maximierung der Geschossgeschwindigkeit und Stabilität optimiert. Schließlich sorgt die Einführung von Rückstoßdämpfungssystemen für die Verbesserung der Handhabung. Fortschritte in der Aerodynamik bescheren einen geringeren Luftwiderstand und stabilere Flugbahnen von Projektilen bis hin zu Überschallgeschossen, die ihre stabile Flugbahn auch bei Überschallgeschwindigkeiten beibehalten. Umweltfaktoren, z.B. die Berücksichtigung des Klimawandels, sorgen für die Anpassung ballistischer Berechnungen an veränderte atmosphärische Bedingungen z. B. Temperatur-unterschiede, die Entwicklung umweltfreundlicher Treibladungen zu reduzierten Schadstoffemissionen. Die Fortschritte in der Miniaturisierung von Sensoren ermöglicht die kostengünstige Integration zur Echtzeitüberwachung von Waffe und Munition während des Einsatzes, einschließlich Temperatur, Druck und Verschleiß. Automatisierte Waffensysteme (autonome Plattformen) nutzen Robotik-Technologien für präzise Zielerfassung und Feuersteuerung. Funk-vernetzte Systeme ermöglichen eine Echtzeit-Kommunikation zwischen Waffenplattformen für koordinierte Einsätze. Kollaborative Roboter (Cobots) unterstützen schließlich bei der Wartung und Handhabung von Rohrwaffen.
Die Ballistik hat sich auch durch veränderte militärische Anforderungen weiterentwickelt. Asymmetrische Kriegsführung erfordert Anpassung von Waffen für den Einsatz in urbanen Gebieten oder gegen unkonventionelle Gegner. Verbesserte Langstreckenfähigkeiten bei Waffen ermöglichen größere Reichweiten bei gleichzeitiger Präzision des Schusses. Neben der Leistung stehen auch Sicherheitsfragen im Fokus. Ein verbesserter Explosionsschutz: vermeidet unkontrollierte Detonationen in der Waffe und ein optimiertes Rückstoß-management erlaubt die Minimierung des Rückstoßes für eine bessere Handhabung.
Die technologischen Fortschritte haben die Rohrwaffenballistik effizienter, präziser und vielseitiger gemacht, während sie gleichzeitig neue Möglichkeiten für militärische und industrielle Anwendungen eröffnen. Insgesamt ist die moderne Rohrwaffenballistik ein interdisziplinäres Feld, das Physik, Ingenieurwissenschaften und praktische Anwendungen vereint, um Präzision, Effektivität und Sicherheit zu maximieren. Ergänzt wird sie durch die Sprengstoffchemie und Pyrotechnik, die Interaktionen zwischen Geschoss, Ausstoßladung (Treibladung) und Schussvorrichtung (Rohr) untersucht. Da Geschosse außer pyrotechnisch auch anders, z.B. mit Druckluft oder Flüssigkeiten, verschossen werden können, sind auch Ergebnisse der Hydrodynamik sowie der Fluiddynamik in der Untersuchung der Vorgänge während des Abschusses und während des Fluges ausschlaggebend.
Wichtige thermodynamischeAspekte sind:
- Geschossenergie
- Mündungsenergie
- Auftreffenergie
- Gasdruck und spezifische Energie der Treibladung
Wichtige pyrotechnischeAspekte sind:
- Ladedichte
- spezifisches Schwadenvolumen
- Detonationsgeschwindigkeit
- sowie die Rohrgeometrie und insbesondere der vorhandene sog. Zug, der den Drall erzeugt, um die Flugbahn zu stabilisieren.
Die Carl-Cranz-Gesellschaft bietet zu allen vorgenannten Aspekten technisch anspruchsvolle Seminare an:
- Ballistik der Handfeuerwaffen - Schwerpunkt Präzisionswaffen
- Endballistik - Grundlagen und Anwendungen
- Pyrotechnik und ihre Anwendungen
- Technologie der Explosivstoffe
Aber auch der Blick auf Schutzaspekte wird vermittelt:
Und die Fachreihen „Sensorik“, „Informatik“ und „Werkstoffkunde und -technologie“ bieten viel Hintergrundwissen zu den Randdisziplinen der Ballistik.
Textquellen: Wikipedia, ChatGPT, Perplexity, Maxim Schmidt (LinkedIn)